Am Samstag fand beim Corso Leopold eine Diskussion mit Münchner Stadträten über Mobilität statt. Das Thema ist hinsichtlich der Landtagswahl eher unwichtig, aber die Diskussion war so vielsagend bis desolat, dass ich hier meine Eindrücke festhalten möchte. Und nachtragen, was ich schon länger über die Münchner Stadtplanung, Neubaugebiete, Hochhäuser und Grünflächen schreiben wollte. Am Ende des Beitrags finden sich Online-Petitionen zum Thema.
Podium beim Corso Leopold am 9.9. von links nach rechts: SPD, Grüne, Freie Wähler, FDP.
Zur Besetzung: Der Mann von den FW war wohl als Mitglied der Fraktion CSU/FW im Stadtrat eingeladen. Da es nur um München ging, hätte man eigentlich die ÖDP (3 Sitze) statt der FDP (2 Sitze) einladen sollen, dann wäre die Diskussion auch vielseitiger und kontroverser ausgefallen.
Münchner Politiker über Mobilität und Stadtplanung
Im Grund war man sich ja fast einig (daher habe ich dem Titel ein Fragezeichen angehängt): Man muss halt den knappen Straßenraum irgendwie klug nutzen und verteilen. Dazu ein wenig symbolisches Hickhack und Geplänkel um Verkehrsmittel und Hinweise auf Defizite anderswo (die S-Bahn, der Bund, das Land …) sowie Bemerkungen zur IAA, deren öffentlicher Teil am Wochenende noch auf einigen Münchner Plätzen stattfand.
Der Sozi sagte etwas routiniert Phrasenhaftes über fehlende Wohnungen, über zu schaffende Arbeitsplätze und zu bewältigende Transformation. Die Grüne bestätigte große Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Parteien, die im Münchner Rathaus miteinander regieren. Sie bekannte sich sogar pauschal zu Hochhäusern (welche die Investoren hier unbedingt bauen wollen, siehe unten). Außerdem hat sie viele Handtaschen, weswegen sie auch nichts dagegen hat, wenn andere viele Autos sammeln, solange sie auf Privatgrund stehen. Aha.
Warum soll München auf Kosten anderer Regionen weiter wachsen?
Als Fragen aus dem Publikum erlaubt waren, habe ich den Bogen etwas weiter gespannt: Man könnte auch das Wachstum der Stadt an sich in Frage stellen, wenn immer mehr große Konzerne hierher gelockt werden, folglich Wohnungen „fehlen“ und immer mehr gebaut werden muss … das kann noch lange so weitergehen, aber warum? Hier sollte man wissen: Die EU hat im langfristigen Trend kein Bevölkerungswachstum, viele Leute kommen aus südlicheren Staaten nach München, daher stehen anderswo Dörfer leer (auch am Balkan). Das ist nämlich das Gegenstück zu unserem Wachstum. Dort würden Arbeitsplätze dringender gebraucht, in Südeuropa ist die Jugendarbeitslosigkeit hoch. Wie sieht es da mit Solidarität aus?
Die erste Antwort kam prompt von der SPD. Deren Vertreter entgegnete mir ganz ernsthaft, was Oberbürgermeister Dieter Reiter schon vor Jahren im Stadtrat sinngemäß zum CSU-Aussteiger Johann Sauerer gesagt hatte: Man könne oder wolle „keine Mauern bauen“ und die Freizügigkeit in Frage stellen. Die Grüne meinte, das Bevölkerungswachstum käme teils aus der hiesigen Geburtenrate und man wolle niemand am Kinderkriegen hindern. (Der FDPler sagte über das Wachstum eigentlich dasselbe wie Rot und Grün, aber ohne rhetorische Fouls.)
Wer gegen München-Wachstum ist, erntet SED-Vergleiche
Ich fühlte mich plump in die totalitäre Ecke gestellt und habe klar gemacht, dass ich nicht auf diesem Niveau diskutieren will, weil es nämlich um Planungspolitik geht. Dazu habe ich einige Stichworte genannt: Von der Stadt ausgewiesene Gewerbe- und Baugebiete, die Nachverdichtung wegen der nicht mehr geltenden Gartenstadtsatzung … und erwähnt, dass der frühere Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) auch keine Mauern gebaut hatte.
Das ist eigentlich unfassbar: Wer mit der Politik nicht einverstanden ist und meint, dass Wachstum auch mal anderswo stattfinden darf als immer nur in denselben Boomregionen, wo es kaum noch bezahlbare Wohnungen gibt, soll sich von den hier regierenden Parteien fast mit dem Mauerbau der DDR oder der chinesischen Ein-Kind-Politik vergleichen lassen. Halten SPD und Grüne ihre potenzielle Wählerschaft für so dumm oder so billig manipulierbar? Empfindet man einen Anspruch auf Zustimmung oder Dankbarkeit? Oder glaubt man mittlerweile, die absolute Wahrheit zu verwalten?
Das Wachstum der Stadt passiert nicht einfach so
Noch etwas Hintergrund: Es wird von der Stadt und den regierenden Parteien (ob nun Grün-Rot oder davor Rot-Schwarz) oft so getan, als sei das Bevölkerungswachstum der Stadt eine Art natürlicher Prozess. Es heißt oft, „es“ ziehe die Menschen nach München, irgendwie wegen der tollen Stadt, der schönen Umgebung oder wegen der Jobs – darauf müssen Politik und Verwaltung scheinbar reagieren. Dann sehen die Neubaugebiete und Nachverdichtungen fast wie logische Konsequenzen oder gar wie Sachzwang aus.
Dabei gibt die Stadtverwaltung selbst Prognosen zum Wachstum heraus, die man als politische Absichtserklärungen oder Planungsziele verstehen darf. Außerdem hat die Stadt lange auf internationalen Messen aktiv darum geworben, dass sich weitere große Firmen in München ansiedeln, hier Arbeitsplätze schaffen und weitere Menschen mitbringen und anziehen – sogar in Zeiten von Vollbeschäftigung. So bleiben auch die Wohnungen knapp und die Mieten hoch, obwohl in München und Umgebung viel mehr gebaut wird als in früheren Jahren.
(Wir sind derzeit in einer besonderen Situation, die ich nicht leugnen will. Viele kommen aus der Ukraine nach Deutschland, müssen untergebracht werden und das Bürgergeld mag noch zusätzlich Menschen aus dem Ausland anziehen. Den Kurs der Stadt gibt es aber schon viel länger als diesen Krieg.)
Stadtplanung: Es fehlt an konkreteren Bebauungsplänen
Bild: CSU-Plakat in München-Aubing zum Thema Gartenstädte erhalten (Sept. 2023)
Die Münchner Gartenstadt-Satzung, die etliche locker bebaute Viertel wie Obermenzing betraf, fiel in den nuller Jahren einer Änderung des bayerischen Baugesetzes im Landtag zum Opfer. Insofern ist das Plakat der in Bayern langfristig regierenden CSU (das angeblich vor Jahren schon mal im Einsatz war) nicht ganz ehrlich und unterschlägt den eigenen Anteil an dieser Politik.
Aber was bedeutet die aktuelle Lage konkret für die Bebauung und die Gartenstädte? Wenn jemand ein Grundstück neu bebauen will, muss die Stadt alles genehmigen, was den sehr allgemeinen Regeln des Baugesetzes nicht widerspricht. Hier könnten aber qualifizierte Bebauungspläne helfen, die es aber in den meisten gewachsenen Vierteln nicht gibt. Solche Bebauungspläne könnten vieles regeln, wenn man es politisch wollte – von der Geschossflächenzahl über die Stockwerke bis zur Dachform. Aber die Stadt will offenbar nicht, man fürchtet angeblich rechtliche Konflikte in der Übergangszeit. Man könnte auch sagen: Es fehlt am Gestaltungswillen, man winkt lieber die selbst geschaffenen Sachzwänge durch.
Nachverdichtung, Luxusimmobilien, Neubaugebiete
Daher wird in München überall nachverdichtet ohne Ende, alte und kleine Häuser werden abgerissen, Bäume gefällt und plumpe Kästen reingestellt. Wenn es besondere alte Häuser trifft, schimpfen Zeitungen und ihre Leserschaft über gierige Bauherren, statt die Hintergründe zu klären. Die fehlenden Vorgaben in den Bebauungsplänen erleichtern es außerdem, ausreichend große Hinterhöfe nachträglich zu bebauen, zum Beispiel mit hässlichen Luxusimmobilien, die neuerdings alle gleich aussehen. Diese Entwicklung liegt nicht an fehlenden Wohnungen oder allgemein am Kapitalismus (wie Tobias Haberl im SZ-Magazin behauptete), das liegt einfach daran, dass es die Mehrheit im Stadtrat offenbar nicht anders will oder den Problemen nicht gewachsen ist.
Hinzu kommt die Versiegelung der Oberflächen durch Neubaugebiete, das größte ist derzeit Freiham im Münchner Westen. Zusammen mit der Nachverdichtung in den älteren Vierteln heizt sich die Stadt im Sommer stärker auf, neu gepflanzte Bäume können das nicht so schnell ausgleichen. Wälder und Parks mit großen, alten Bäumen sorgen dagegen für kühle Luft. Auch Wiesen und monotone Felder sind fürs Stadtklima viel besser als Pflaster und Asphalt. Besonders die Frischluftschneisen sollten unbebaut erhalten bleiben, damit von draußen die kühlere Luft hereinströmen kann, besonders nachts (siehe Links ganz unten).
Zurück zum Corso Leopold … was zum Mitmachen
Nach der unbefriedigenden Diskussion habe ich erst mal zum Stressabbau einem fremden Hund das Teddyfell gekrault, mir einige ironische Aufkleber bei Die PARTEI mitgenommen und am Stand der ÖDP die Petition Bürgerwillen ernst nehmen – Demokratie stärken unterschrieben, die sich an den Bayerischen Landtag richtet.
Dieses Thema betrifft auch den Umgang der Stadt München mit dem Bürgerbegehren „Grünflächen erhalten“. Diesem hat zwar eine breite Mehrheit im Stadtrat zugestimmt (neben den überzeugten Unterstützern von ÖDP/München-Liste schließlich auch die Fraktionen CSU/Freie Wähler, die Grünen/Rosa Liste und Die Linke/Die Partei – sehr zum Ärger vom Dieter Reiter und der SPD), auch um die Kosten für den Bürgerentscheid zu sparen. Aber man hält sich bei neuen Bauprojekten nicht unbedingt an den Beschluss. Mehr dazu im Beschwerdebrief des Stadtrats Dirk Höpner (München-Liste) an die Kommunalaufsicht.
Und so kommen wir schon zum nächsten heißen Thema, den Hochhäusern.
Am Stand von hochhausstop.de ergab sich ein ausführliches Gespräch mit einer Frau, die wegen eines weiteren geplanten Projekts der Stadt eine Bürgerinitiative mitgegründet hat. Nach einiger Zeit merkten wir, dass wir beide letzten Sommer bei Johann Sauerers Führung durch das riesige Neubaugebiet Freiham dabei gewesen waren.
Wer braucht in München Hochhäuser – wir oder die Investoren?
Derzeit läuft das Bürgerbegehren Stopp des Baus der 155 Meter hohen Hochhausgiganten an der Paketposthalle München, der momentane Stand liegt bei ca. 25.000 Unterschriften. Dieses Bauvorhaben der Büschl Unternehmensgruppe (Grünwald) kollidiert mit den Grünflächen. Daher steht ein Papp-Hochhaus beim Corso Leopold auf Unterschriften-Bögen des Bürgerbegehrens „Grünflächen erhalten“.
Aber manche haben andere Prioritäten: Diesen Sommer war laut SZ eine 33-köpfige Delegation der Stadt für mehrere Tage nach Basel gereist, um sich die Vorzüge der dortigen Büschl-Hochhäuser oder Roche-Türme anpreisen zu lassen (ich empfehle dazu diesen Leserkommentar).
Vielleicht findet es ja auch jemand interessant, dass Büschl für die Münchner CSU und SPD spendet. Wieso eigentlich noch nicht für die Grünen, die ihre Aufgeschlossenheit für Hochhäuser aktiv vor sich hertragen, auch wenn es eigentlich um Mobilität ginge?
Landtagwahl – Alternativen zu SPD und Grünen
Den autoritären Sachzwang-Bluff von SPD und Grünen, die in München offenbar nicht mehr souverän mit Widerspruch umgehen können, nehme ich zum Anlass, eine Wahlempfehlung abzugeben: Wählt eine demokratische Kleinpartei! Mögen sie zusammen mehr Stimmen bekommen als die SPD. Wenn sich in der SPD auf Landesebene niemand traut, dem Münchner Technokratenstadl zu widersprechen, dann reicht es leider nicht einmal für den Satire-Slogan „Mit Anstand verlieren“, den sich die Titanic-Redaktion vor vielen Jahren für die Bayern-SPD ausgedacht hatte.
Ich freue mich, wenn ihr diesen Blogartikel weiterleitet oder in den sozialen Medien teilt.
Über die Autorin dieses Blogartikels: Irene Gronegger studierte in den Neunziger Jahren Geographie, Bodenkunde, Landschaftsökologie und -planung in München und Wien. Sie hat 2022 in München selbst Unterschriften für das Bürgerbegehren „Grünflächen erhalten“ gesammelt, im Juli 2023 einer Online-Petition beim Bundestag übers Quorum geholfen (Nachlese auf Facebook) und ist parteilose Wechselwählerin. Wahlkabine.at behauptete mal, sie sei Sozialdemokratin.
Weitere Links, Aktionen und Petitionen
Münchner Veranstaltungstipps beim Bürgerdialog Online
Portal Moloch München – eine Stadt wird verkauft von Wolfgang Zängl mit kritischem Lexikon zu diversen Personen und Immobilien-Projekten, z.B. dem Projekt Paketposthalle (sehr ausführlich über die geplanten Hochhäuser)
Aktuelle Online-Petitionen u.a. gegen mehrere Hochhaus-Projekte, initiiert von der Fraktion ÖDP/München-Liste (Links zu den Petitionen bitte dort ausklappen)
Online-Petition einer Bürgerinitiative: Keine Bebauung des Grüngürtels München SÜD
Landkreis München: Bürgerinitiative Frischluftzufuhr für München (mit vielen Infos und einer Petition zum Hachinger Tal)
Wenn die eigene Unterzeichnung einer Petition fürs Quorum zählen soll, ist es wichtig, im betreffenden Gebiet zu wohnen. Unterstützung aus den Nachbarregionen schadet aber nicht.
Und mein Blogartikel von 2014: Dachauer Straße – ein Kreativquartier für die Kunst?