Derzeit bitten etliche Aktivisten und Organisationen um Unterschriften für die Europäische Bürgerinitiative „30 kmh – macht die Straßen lebenswert“. Das Ziel dieses Volksbegehrens ist, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften einzuführen.
Was bedeutet das konkret? In geschlossenen Ortschaften liegt die Regelgeschwindigkeit in Deutschland bei 50 km/h. Sollen Straßen langsamer durchfahren werden, muss das nach derzeitiger Rechtslage extra beantragt und ausgeschildert werden – zum Beispiel durch Tempo-30-Zonen.
Die europaweite Bürgerinitiative will das Prinzip umkehren: Wo nichts anderes vorgegeben ist, sollen maximal 30 km/h erlaubt sein. Ausgewählte Straßen könnten die Kommunen für höhere Geschwindigkeiten freigeben. Der entscheidende Punkt ist, dass Tempo 30 der Normalfall wäre und Tempo 50 die Ausnahme, die höhere Geschwindigkeit müsste also besonders begründet werden.
Welche Effekte hat Tempo 30 auf den Verkehr? Eine niedrigere Geschwindigkeit nützt in erster Linie Fußgängern und Radfahrern: Bei geringerem Tempo ist der Bremsweg kürzer, genauer gesagt der Anhalteweg, der auch die Reaktionszeit der Lenkenden berücksichtigt. Die Unfälle gehen zurück, und vor allem gibt es weniger Tote und Schwerverletzte: Wenn ein Auto mit einem Fußgänger oder Radfahrer kollidiert, fallen die Verletzungen der Fußgänger und Radfahrer bei Tempo 30 leichter aus als bei Tempo 50.
Radverkehr und Tempo 30
Für den Radverkehr kommt hinzu, dass bei Tempo 30 die Geschwindigkeit der Autos und der sportlichen Radfahrer nicht mehr weit auseinander liegt. Damit entfällt manches gewagte Überholmanöver der Motorisierten, und das Radfahren auf der Fahrbahn wird viel angenehmer als bei Tempo 50. Fahrräder werden ein ganz selbstverständlicher Teil des fließenden Verkehrs. Heute nehmen viele Verkehrsteilnehmer die Autos noch als den eigentlichen Verkehr wahr, und die zahlreichen Fahrräder als dessen Behinderung.
Verkehrsplaner könnten sich bei Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit leichter von üblichen Radwegen verabschieden, die von der Fahrbahn baulich getrennt sind. Besonders so genannte Hochbordradwege, die in den Achtzigern oft vom Gehweg abgezwackt wurden, sind oft viel zu schmal. Besonders gefährlich sind sie, wenn sie die Radler zwischen parkenden Autos und schattigen Hecken verstecken und dann von rechts abbiegenden Autofahrern nicht bemerkt werden. Auf der Fahrbahn nehmen Autofahrer den Radverkehr viel besser wahr.
Auf manchen stärker frequentierten Straßen könnten breite Radspuren möglicherweise eine Übergangslösung sein, damit sich auch weniger erfahrene Radfahrer auf die Fahrbahn wagen – das gilt besonders für die recht unbedarften Gehwegradler. Radspuren, die nur mit Farbe gekennzeichnet sind, können relativ unkompliziert angelegt und auch wieder aufgelöst werden, wenn sie überflüssig geworden sind. Unabhängig davon könnten Kinder weiterhin den Gehweg nutzen, auf dem sogar wieder mehr Platz zur Verfügung steht, sobald ehemalige Hochbordradwege nicht mehr von älteren Radlern befahren werden. Doch wie der optimale Radweg aussieht und ob es ihn überhaupt braucht, ist eine andere Geschichte.
Höhere Wohnqualität an entschleunigten Straßen
Nicht nur Fußgänger und Radfahrer profitieren von Tempo 30. Für die Anwohner bedeutet eine geringere Geschwindigkeit, dass der Verkehrslärm durch motorisierte Fahrzeuge abnimmt. Straßen können leichter überquert werden, Umwege zu einem Zebrastreifen oder zur nächsten Ampel sind seltener nötig. Es wird angenehmer, sich auf der Straße, den angrenzenden Freiflächen oder in benachbarten Privatgärten aufzuhalten. Und wo Tempo 30 den Anforderungen nicht genügt, könnten in Deutschland immer noch Fahrradstraßen oder Spielstraßen ausgewiesen werden.
Und die Autofahrer? Sie verlieren durch Tempo 30 kaum Zeit, weil es auf den meisten Hauptverkehrsstraßen bei Tempo 50 bleiben wird. Kandidaten in der Maxvorstadt wären beispielsweise die Arnulfstraße, die Ludwig- und Leopoldstraße oder auch die Gabelsberger Straße, die zum Altstadtring führt. Auf kurzen Strecken fallen diese Unterschiede in der Geschwindigkeit sowieso kaum ins Gewicht, weil der Weg zum Auto, die Suche nach einem Parkplatz, der Weg durch das Parkhaus, der Fußweg vom geparkten Auto zum Zielgebäude oder das Warten an der Ampel viel stärker zu Buche schlagen als die Höchstgeschwindigkeit. Autofahrer verlieren bei Tempo 30 vor allem die Illusion, der eigentliche Verkehr zu sein, hinter dem alle anderen selbstverständlich zurück stehen müssen.
Tempo 30 unterstützen?
Die Initiative für Tempo 30 ist ein Volksbegehren auf EU-Ebene. Es kann sowohl auf der Website als auch auf Papier unterzeichnet werden. Wer das tun möchte, sollte besonders darauf achten, sämtliche im Personalausweis enthaltenen Namen und Namensbestandteile einzutragen. Wer selbst dafür werben möchte, kann Materialien herunterladen.
Unterstützt wird die Initiative neben vielen anderen Organisationen vom Verkehrsclub in Deutschland (VCD), vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC), vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) und vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).